Dies ist die letzte Etappe auf meiner Transformationsodyssee. Das Abstürzen hatte neulich ein Ende, doch es ist noch nicht ganz überstanden. Die Rakete ist kaputt. Der Elfenbeinturm als Mittelpunkt meiner Welt hat ausgedient. Das Staub-Abschütteln und urbane Krone-Richten steht auf dem Programm. Und noch einiges mehr…
Im Kreis herum fliegen, Karussell fahren und mentale Labyrinthe bauen fallen weg. Absurdes, Sinnloses und Zweckbefreites haben ausgedient. Soviel ist sicher. Es gibt verwandte, sinnvolle Beschäftigungen, die mir langsam wieder dämmern. Aber die Dämmerung ist noch jung. Und ich möchte warten, bis es wirklich hell wird, bevor ich anfange darüber zu reden.
Das Requiem, die Trauerreden und die ganze Litanei haben sich über die letzten Wochen hingezogen. Wir befinden uns an einem heiligen Ort der Transformation irgendwo im Dschungel. Bevor wir weiter machen, wird es Zeit, Abschied zu nehmen von einem alten Ego.
Ich bleibe gespannt, ob und wie sich Sinn, Zweck und kultivierter Irrsinnn in etwas Lebenswertes, Tragfähiges und Anschlussfähiges integrieren lassen. Allzu oft bleiben die drei genannten Sphären, Sinn, Zweck und kultivierter Irrsinn, von einander getrennt. Oder sie werden allzu nützlich oder allzu lebensfremd kombiniert.
Kunst wäre möglicherweise eine Antwort. Doch die wahre Kunst lässt die Zwecke hinter sich. Im Gegensatz zur Ware Kunst, die sich vor den Zwecken bückt.
Lebenskunst wäre eine vollständige Antwort. Aber dabei kann es nicht um die kleine Lebenskunst gehen, bei welcher der „Künstler“ an den Dingen und den Menschen scheitert. Es müsste um eine Lebenskunst gehen, die den Dingen ebenso die Treue hält wie den Menschen und dem Künstler.
Solche Lebenskunst ist selten. Ich versuche mich schon lange daran. Und addiere mich schon ebenso lange zur Masse, die mit ihren Versuchen scheitert.
Fehlerfreundlichkeit. Scheitern als Rückmeldung begreifen. Die Rückmeldungen interpretieren. Sich dem kontinuierlichen Lernprozess überantworten. Unerschrocken in den Abgrund schauen. Die Flügel ausbreiten – auch wenn sie zu klein scheinen und die Körperkraft zu gering. Springen. Sich eine blutige Fresse holen. Krone richten. Den Buckel wieder hoch steigen.
Um all das geht es hier. Um all das muss es bei echter Lebenskunst gehen. Alles andere ist Verarsche oder Selbstverarsche – meistens beides. Dabei geht es nicht um Fehlerfreundlichkeit im Nirgendwo. Es geht ebenso wenig um eine Lernkultur im Vakuum übersteigerter Ziel- und Zweckorientierung. Es geht um Lernen und kontinuierliche Entwicklung in für uns attraktiven Kontexten mit Bezug zu unseren wesentlichen Zielen und Anliegen.
In meinem ganzen Experimentieren und Scheitern bin ich unter Hochdruck damit beschäftigt, dem vorsätzlichen, sinn- und zweckorientierten Scheitern eine Form zu geben. Während ich hier vorne in einer bescheidenen Öffentlichkeit das Requiem auf mein altes Ego verfasse, arbeite ich im Hintergrund an einem ausgebufften Konzept. Dabei geht es um den Weg produktiver Glückseligkeit. Es geht um eine Kultur des Selbstmanagements, bei der wir uns aufrichtig, achtsam und entschlossen um Entwicklungseinladungen, wesentliche Lebenskontexte und lustbesetzte Visionen kümmern.
Tatsächlich bin ich damit in den letzten Wochen kaum voran gekommen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, abzustürzen, mich vom Absturz zu erholen und mich im Dschungel zu orientieren. Heute ist endlich etwas Entscheidendes auf diesem Orientierungsmarsch passiert.
Ich irrte seit Tagen alleine und orientierungslos durch einen Urwald voller Schlangen, Spinnen und pinker Pfeilgiftfrösche. Heute kam ich angespannt und ausgemergelt an einen Abgrund. Meine Wahl zwischen giftigem Getier und Abgrund fiel auf Abgrund. Also stolperte ich einige Zeit weiter an diesem entlang. Und wo ein Abgrund ist, da findet sich ab und zu ein Grund, der einen abstürzen lässt.
Vollkommen überraschend kam eine hübsche Hexe mit frisch gemähtem Bob aus dem Urwald gefegt. Ich hatte ihr wohl Anlass gegeben, die Hexe zu machen und den Besen zu besteigen. Das Teil flog aufgebracht zwischen den Lianen hindurch, rotzte beeindruckende Zaubersprüche in meine Richtung und kickte mich zum krönende Abschluss über die Kante.
Ich fiel mit großer Geschwindigkeit. Angst und Panik machten sich in mir breit. Tief unten vermutete ich zwei ähnliche Optionen meines Endes. Ich würde entweder auf dem fauligen Boden des Wahnsinns zerschellen. Oder ich würde in den Strudel des Irrsinns gesaugt.
Doch zu echtem Wahnsinn fehlte mir die Begabung. Im Fallen erinnerte ich mich an den schweren Rucksack, den ich schon seit Jahren mit mir herum trug. Ein Fallschirm für alle Fälle. Im Alltag hatte ich ihn komplett vergessen. Aber das hier war eindeutig ein Fall.
Ich zog an der Schnur, die vorne am Träger hing und mir im Alltag immer wieder in die Quere gekommen war. Eine rauschende Welle Endorphin schoss von meinen Fußsohlen über Schoß und Rückenmark ins Hirn. Mit einem harten Ruck hatte sich mein Flug plötzlich verlangsamt. Ich spürte einen tiefen Seufzer. Hören konnte ich ihn nicht. Der Gegenwind des Falls übertönte alles. „Lustig“ dachte ich kurz, „das, was mir im Dschungelalltag schwer auf den Schultern gelastet hatte, erlaubte mir auf einmal zu schweben.“
Angst und Panik legten sich. Die dunklen Wände meines Tunnelblicks wichen zurück und machten Raum für eine überraschende Wirklichkeit. Die Schlucht war keine Schlucht. Die Hexe hatte mich von einer Klippe gekickt. Und damit hatte sie zwei entscheidende Dinge bewirkt: Sie hatte mir den Rückweg in den Dschungel verbaut. Und sie hatte mich daran erinnert, wofür ich den Rucksack ursprünglich mit auf den Wege bekommen hatte. Ich konnte auf leise und geschmeidige Art fliegen und schweben, wenn ich das wollte. Aber das wurde mir erst später klar.
Unter mir konnte ich dunkle Felsen erkennen. Und ich konnnte die salzige Gischt riechen, die zwischen den Felsen schäumte. Ich ließ den Blick einigermaßen entspannt über die türkis-blaue Weite schweifen. Der Schreck saß mir noch in den Knochen.
In einiger Entfernung konnte ich einen weißen Strand und Palmen ausmachen. Dort würde ich weich und sicher landen können. Aber ich verlor schneller an Höhe als mir lieb war. Ich würde es nicht bis dorthin schaffen.
Also lenkte ich den Fallschirm weg von der Klippe. Die Gefahr war zu groß, mir an den Felsen am Fuß das Genick zu brechen. Ich wusste, ich würde ein bisschen den Jesus machen und übers Wasser laufen müssen. Aber das Wasser war warm und flach. Das konnte ich ahnen. Und ich konnte mich daran erinnern. Ich würde sanft landen, den Gleitschirm zusammen raffen und voller Vorfreude ans Ufer waten.
Eine alte Vision erwachte während dieses zweiten Absturzes in wenigen Wochen zu neuem Leben: Ich würde den Strand und die Uferzonen in Beschlag nehmen. Ich würde diesen Strand zu einem ganz speziellen Robinson Club entwickeln. Und ich würde selbst viel Zeit im Wasser verbringen: mit Flossen, Brille und Schnorchel. Die meiste Zeit würde ich aber auf Brettern stehen, die meine Welt bedeuten. Ich würde die Wellen und mit hohen Spürngen den Himmel reiten.
In meinem Elfenbeinturm hatte ich immer das Gefühl gehabt, ich lebte auf einer einsame Robinson-Crusoe-Insel. Und am Boden der Tatsachen im Urwald hatte ich tatsächlich Freitag getroffen. Aber Montag bis Donnerstag sowie Samstag und Sonntag waren auch da. Außerdem fand ich mich in einer unendlichen Zahl weiterer verirrter und wuselnder Glücksritter wieder.
Es war also keine einsame Insel. Aber im Dschungel, inmitten einer unendlichen Schar an Menschen, tappte ich im Dunkeln. Ich fühlte mich ohnmächtig, überfordert und orientierungslos. Ich wollte zurück an den Ort, der mir durch Abwesenheit fremd geworden war. Es war der einzige Ort, an dem ich mich jemals zuhause gefühlt hatte. Es war der Ort, den ich, einer großen, aber ungesunden Ambition folgend, vor Jahrzehnten in Richtung Dschungel verlassen hatte. Seitdem hatte ich ihn nur noch selten und jedes mal kurz besucht.
Mein ganzes Wesen hatte sich nach Strand, Wasser und Wellen gesehnt. Mein Körper, mein Geist und meine Seele vermissten das Brett und die Wellen unter den Füßen. Deswegen hatte ich mich, ohne es recht zu wissen auf den Weg zurück ans Meer gemacht.
Mit produktiver Glückseligkeit bin ich auf dem richtigen Weg. Andere Menschen auf dem Weg produktiver Glückseligkeit begleiten ist toll. Musik ist toll. DJing ist toll. Aber all das bietet zu wenig Raum und Widerstand für die mentale Energie und Kraft, die bei mir von innen heraus in die Welt schiebt.
Mir wird klar, dass ich dich ermutigen wollte, dein Ding zu machen. Ich wollte dir Wege aufzeigen, wie du das auf geschmeidige und effektive Weise tun kannst. Ich wollte dir all das als Weg zu einem erfüllten und erfolgreichen Leben näher bringen. Und das tue ich immer noch. Aber während das alles schön und redlich ist, so ist es gleichzeitig eine monumentale Projektion.
Ich verweigere mich seit Jahren einem existenziellen Ruf, der kontinuierlich mit großer Vehemenz an mich ergeht. Ich begegne ihm mit Widerwillen und schiebe ihn mit coolidger Ausdauer auf die lange Bank. Das Ausmaß, mit dem ich dich bedränge, dein Ding zu machen, entspricht ziemlich genau dem Ausmaß, mit dem ich mich weigerere, das Geforderte selbst zu tun.
Es könnte sein, dass ich dich mit diesen Beiträgen hier verprellt habe. Vermutlich werde ich dich auch mit vielem verwirren, das ich in nächster Zeit auf der Ebene der Alltags-und Lebensschlaumeierei von mir geben werde. Das wäre vollkommen okay für mich. Ich mache jetzt den Weg des Productivistas zum Zentrum meiner Reflexionen. Dabei geht es um einen Prozess kontinuierlicher Selbstentfaltung. Und ich werde diesen Weg produktiver Glückseligkeit am Beispiel künstlerischen und kreativen Schaffens veranschaulichen.
Meinem Bodhisattva-Gelübde folgend, hatte ich vielen Menschen etwas anbieten wollen. Ich dachte, ich könnte und müsste allen Menschen einen Weg zum Glück aufzeigen. Aber das war mein ganz privater Wahnsinn.
Shu yo mu hen sei gan do. Wie zahlreich, die leidenden Wesen auch sein mögen, ich gelobe, sie alle zu retten. Ich hatte dieses Gelübde bei der buddhistischen Laienordination angenommen. Aber ich habe es oberflächlich interpretiert. Ich hatte den Fluch meiner Kindheit zur Flagge gemacht, unter der ich segelte. Ich hatte mein Retterrollenspiel damit untermauert. Ich hatte das Gelübde zu wörtlich genommen und habe damit am Wesentlichen vorbei gelebt, zu dem das Gelübde einlädt.
Andere retten wollen ist eine überirdische Projektion. Es ist eine alles überragende Form der Selbstverarsche. Es ist eine beeindruckende Maske, hinter der wir unsere eigene Ohnmacht und Verlorenheit zeitweise vor uns und anderen verbergen können.
Wir können niemanden retten, wenn wir uns selbst verraten. Unseren eigenen Weg achtsam und aufrichtig zu gehen, das ist der wichtigste, vielleicht sogar einzige Beitrag, den wir zur Rettung anderer leisten können. Retten ist allenfalls ein absichtsloser Nebeneffekt, der sich dann einstellt, wenn wir uns mit Haut und Haaren dem Prozess der Selbstentfaltung anvertrauen.
Ich wähle jetzt den kreativ-künstlerischen Weg, mit dem ich schon einige Jahre kokettiere. Ich nehme diese existenzielle Einladung endlich an. Und ich schaffe mit dem Produktiv eine Plattform für all jene, die einen ähnlichen Ruf verspüren und sich diesem bisher verweigert haben oder diesem bisher nur halbherzig folgen.
Ich lasse mein Retterherz vollständig ausbluten. Und das ist gut so. An diesem geht mein altes Ego endlich zugrunde. Ich packe den Alten in die Kiste. Ich packe die Kiste in die Grube. Und ich werfe ein bisschen Erde und weiße Lilien darauf.
Ich verwandle mich abschließend und vollständig in Lazy Moe. Du kannst mich weiter Martin nennen. Du kannst mich nennen wie du willst. Das mach ich ja auch.
Lazy Days Magazine
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